Kleine theologische Enzyklopädie


Friedrich-Wilhelm Marquardt


marquardtDieser Text lag den Grundkursen zur „Einführung in das Studium der Evangelischen Theologie“ zugrunde, die Marquardt in den Jahren 1983-1996 jeweils im Wintersemester am Institut für Evangelische Theologie der Freien Universität Berlin – teilweise gemeinsam mit dem Religionspädagogen Joachim Hoppe – unter Mitarbeit von studentischen Tutor(inn)en durchgeführt hat. Marquardt beginnt, indem er die Geschichte des Begriffs 'Theologie' behandelt. Es folgen Erläuterungen zur Bibel und zum Verständnis der Bibel in der Kirchengeschichte und der Systematischen Theologie. Die „Praktische Theologie“ blieb ausgespart, da dafür der Kollege Hoppe zuständig war.[Andreas Pangritz]

Zum Begriff "Theologie"

Etymologisch: Theo-logia = das Zur-Sprache-Kommen Gottes. Von da aus gesehen wäre Theologie eine Wissenschaft, die nicht nur erörtert, wie wir Gott zur Sprache bringen können, sondern wie Gott zur menschlichen Sprache kommt.
Geschichtlich: Ein vorchristlicher Begriff, vielleicht schon vor Plato gängig (d.h. vor 430/429 oder 428/427 v .Chr.). Bei Plato bezeichnet ‚Theologie’ die Mythen, die im Interesse politischer Erziehung zu reinigen sind (z.B. sollen die Götter nicht mehr als Urheber des Bösen gedacht werden, wie im Mythos). ‚Theologen’ gelten als Mythen- und Gotteskünder und werden im Gegensatz gesehen zu Philosophen. – Allerdings entsteht bald innerhalb der Philosophie ein Teilstück ‚Theologie’: philosophisches, nicht mehr mythisches Reden vom Göttlichen. In der Bibel kommt das Wort nicht vor. Sie zeigt weder Interesse an Mythen noch an ihrer philosophischen Kritik noch am Philosophieren. – Die Tatsache, daß in unserem Kulturkreis gerade die Beschäftigung mit der Bibel unter dem Titel ‚Theologie’ geschieht, ist ein geschichtlicher Widerspruch und Quelle vieler Holzwege und Mißverständnisse, dennoch ein geschichtliches Erbe, das wir nicht leicht abschütteln können. Es ist Symbol einer abendländischen Kultursynthese von griechischem und hebräischem Denken, in der zu unserem Schaden das Hebräische mehr verloren hat als das Griechische..

Die Bibel

Die Bibel der Christen ist das Ergebnis des etwa in der Mitte des 2. Jh. sich vollziehenden Kanonisierungsprozesses (Kanon, griech. = Richtschnur, Richtlinie). Dieser Prozeß ist ein Auswahlprozeß: Aus der großen Vielzahl der in den christlichen Gottesdiensten des 2. Jh. gebrauchten und in Gemeindeversammlungen gelesenen und diskutierten Schriften werden bestimmte Schriften als maßgeblich und normativ für das Verständnis des Christlichen ausgewählt. Der Vorgang setzt voraus: a) eine innere Vielfältigkeit und Unbestimmtheit dessen, was eigentlich „christlich“ ist (in Lehre und Handeln); es hat zu keiner früheren Zeit je ein einheitliches Gottes-, Christus- und Kirchenverständnis gegeben, sondern nur viele einander fremde Christentümer; möglicherweise gab es schon in der ersten Generation der Auferstehungszeugen tiefe Verständnisdifferenzen zwischen solchen, die Erscheinungen des Auferstandenen in Jerusalem, und anderen, die sie in Galiläa erfahren haben (E. Lohmeyer).

Die Kirchengeschichte

Das, was wir in einem ja erst neuzeitlichen Sinn unter „Geschichte“ verstehen (im Sinne von Historiographie), ist dem biblischen Glauben von seinem hebräischen Anfang her der „Ort“ oder „Raum“ der Ereignung (des „Handelns“, der „Offenbarung“) Gottes: a) Ort der Verkündigung seines Wortes, b) Ort der Begegnung von Israel und den Völkern, resp. Juden und Christen, c) Wirkungsfeld der Vorsehung Gottes und seiner Weltregierung. Die Bibel beider Testamente verlegt das, was man „Heilsgeschehen“ nennt, nicht in himmlische Sphären, sondern auf die Erde, nicht in den „Geist“ der Völker oder in die Seele der einzelnen, sondern in die Weltgeschichte, auch nicht in die Natur, sondern in die Geschichte (dies sind drei Näherbestimmungen zur Bezeichnung der Geschichte als „Ort“ der Ereignung Gottes). D.h. Geschichte ist im biblischen Denken immer schon theologisch qualifiziert, und zwar gerade die Welt- oder Profangeschichte (Heilsgeschichte ereignet sich in keinem anderen Raum und in keiner anderen Zeit als inmitten der „Profan“geschichte; damit hat die Bibel den alten religionsbildenden Gegensatz von „heilig“ und „profan“ von vornherein aufgehoben.

Die Systematische Theologie

Hinter der D[ogmatik] als einer theoretischen Tätigkeit des Glaubens steht ein Lebensproblem speziell des christlichen Glaubens, das sich so in anderen Religionen, auch im Judentum, nicht stellt. Warum begnügt der christliche Glaube sich nicht damit, schlicht und praktisch seinen Glauben zu leben? Warum will er sich auch in theoretischer und wissenschaftlicher Gestalt auslegen und selbst verstehen lernen? Warum drängt christlicher Glaube auf Verstehen?

 

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